- irische Sprache und Literatur.
-
Die irische Sprache gehört zu den keltischen Sprachen und weist verschiedene Entwicklungsperioden auf: Ogham-(Ogom-)Irisch ab 400, archaisches Irisch 6. Jahrhundert, Frühaltirisch 7. Jahrhundert, klassisches Altirisch 8./9. Jahrhundert, Mittelirisch 900-1200, Neuirisch ab 1200.Das Irische unterscheidet sich von den britannischen Sprachen durch konservativeres Verhalten: Gemeinsam mit den übrigen inselkeltischen Sprachen (Inselkeltisch) hat das Irische alte Züge aus indogermanischer Zeit bewahrt (Differenzierung von »3« und »4« nach Genera, kein Infinitiv, kein Verb für »haben«) oder typologische Merkmale entwickelt (konjugierte Präpositionen; Anordnung der Satzglieder: Verb, Subjekt, Objekt; Tendenz zur nominalen Umschreibung von Zustandsverben; Fälle von Parataxe statt Subordination; primär phonetisch bedingte Anlautsveränderungen in Wortgruppen, Umschreibung von »ja« und »nein« u. a.).Die orthographische Wiedergabe des Irischen, das in keinem seiner heutigen Dialekte weniger als 60 Phoneme besitzt, durch ein Alphabet von 18 Buchstaben (sowie Längezeichen für Vokale) ist problematisch. Die irische Sprache hat das in Irland gesprochene Englisch (Angloirisch) vielfältig beeinflusst.Literatur: Archaische Epoche(400-600) und frühe Epoche (600-1200): Aus der archaischen Epoche liegen nur einige hundert Inschriften in Oghamschrift vor. Im frühen Irland gab es trotz des politischen Partikularismus bereits eine Literatursprache ohne Dialektunterschiede; der Aes dána (Stand der Künstler und Gelehrten) nahm eine privilegierte Stellung in der hierarch. Gesellschaft ein. Die Filid (gelehrte Dichter, zuerst »Seher«, zum Teil Nachfolger der Druiden, Fili) bewahrten mündlich die Überlieferung (Senchas) der Familien und der Stämme und verfassten Preis- und Klagelieder auf ihre Schutzherren und Schmählieder auf deren Feinde. Die ältesten datierbaren Werke der irischen Literatur sind Dallán Forgaills (✝ 597) »Amra Choluimb Chille« (Totenklage auf den heiligen Columban) und Colmán Moccu Beognaes »Apgitir crábaid« (Alphabet der Frömmigkeit).Die Hauptwerke der frühen irischen Literatur sind die Heldensagen. Obwohl erst in Handschriften aus dem 12. und 13. Jahrhundert überliefert, bewahren sie doch eine um Jahrhunderte ältere Sprachform und repräsentieren eine vom Christentum noch unberührte heidnische Welt. Die ältesten Handschriften sind »Lebor na h-uidre« (Buch der dunklen Kuh, um 1100) und das Buch von Leinster (um 1150). Die Form der Heldensage ist das Prosaepos mit Einschüben in gebundener oder metrischer Form. Während die Heldensagen in der alten irischen Literatur nach Themen (z. B. Abenteuer, Belagerungen, Plünderungen, Brautwerbungen, Entführungen, Gastmähler) gegliedert wurden, klassifiziert man sie heute nach Zyklen.1) Ulsterzyklus: Seine Hauptfiguren sind der jugendliche Held Cú Chulainn, König Conchobor von Ulster und dessen Erbfeinde. Zentrale Erzählung ist »Der Rinderraub von Cooley« (Taín Bó Cuailnge). Weiterhin gehören zu diesem Zyklus u. a. die Erzählung um die tragische Liebende Deirdre mit dem Tristan-und-Isolde-Motiv. Der Ulsterzyklus weist besonders archaische Elemente auf, z. B. den Kampf mit Streitwagen, den Kopf des Feindes als Siegestrophäe und das übernatürliche Wirken von Tabus (Gessa). 2) Mythologischer Zyklus: Er schildert den Kampf eines sagenhaften Geschlechts übernatürlicher Wesen, der Tuatha Dé Danann (vielleicht die Ureinwohner Irlands) und ihres Königs Dagdá mit einem Geschlecht von Dämonen, den Fomoriern. Dazu gehören u. a. die Erzählungen »Tochmarc Étaíne« (Das Werben um Étaín) und »Cath Maige Tuired« (Die Schlacht von Mag Tuired). 3) Königszyklus (auch historischer Zyklus): In ihm sind Sagen und Erzählungen um je einen historischen oder prähistorischen König gruppiert, z. B. »Cath Almain« (Die Schlacht von Allen), »Buile Suibhne« (Suibhnes Wahnsinn). 4) Finnzyklus: Er gehört in seiner schriftlichen Fixierung der mittleren Epoche der irischen Literatur an (Finn).Die Lyrik der frühen Epoche ist nur in Bruchstücken erhalten. Besonders bemerkenswert ist die empfindsame Naturlyrik. Neben den Gedichten der Filid gab es religiöse Gedichte, z. B. »Félire« (Heiligenkalender, um 800) von Oengus Céle Dé, »Saltair na rann« (Strophenpsalter, 10. Jahrhundert) und historische Gedichte, z. B. »Fianna bátar i n-Emain« (Die Krieger, die in Emain waren) von Cináed Ua Artacáin (✝ 975). Die ältesten Gedichte sind in einer Art rhythmischer alliterierender Prosa verfasst. Unter dem Einfluss lateinischer Hymnen kamen im 8. Jahrhundert Endreim und silbenzählende Metren auf. Ferner entstand religiöse (v. a. Heiligenleben und Visionen) und wissenschaftliche Prosa: medizinische und juristische Traktate wie »Senchas már« (Großes altes Gesetzbuch), grammatische Abhandlungen mit einer ausgebildeten grammatischen Terminologie, »Sanas Cormaic« (Cormacs Glossar), die »Dindshenchas«, eine Art nationaler Topographie, worin die Namen bekannter Orte durch je eine Geschichte oder Legende gedeutet werden, das »Lebor gabála« (Buch der Eroberungen), das eine spekulative Beschreibung der vorchristlichen Geschichte Irlands enthält, sowie verschiedene Genealogien und Annalen. Verbreitet war auch die aphoristische Literatur.Mittlere Epoche(1200-1650): Die anglonormannische Invasion (1171/72) markierte das Ende der politischen und kulturellen Selbstständigkeit Irlands. An die Stelle des Königtums traten eine Anzahl kleiner Fürstentümer. Mit dem Königtum starb auch das Amt der Filid aus. Die Dichtung oblag nun den ursprünglich den Filid untergeordneten Barden. Diese standen im Dienste von Fürsten, in deren Auftrag sie Preislieder sowie (gegen deren Feinde gerichtete) Spottlieder verfassten. Besonderes Kennzeichen der irischen Bardendichtung ist die außerordentlich komplizierte metrische Technik (Dán direach). Herausragende Barden waren Tadhg Dall Ó h-Uiginn (* 1550, ✝ 1591) und mehrere Angehörige der Familie Ó Dálaigh, besonders Muireadhach Albanach Ó Dálaigh (1. Hälfte des 13. Jahrhunderts). Der Großteil der Prosaliteratur dieser Epoche gehört dem Finnzyklus, dem vierten großen irischen Sagenzyklus, an. Seine märchenhaften, mit folkloristischen Elementen durchsetzten Stoffe wurden vor ihrer schriftlichen Fixierung wohl schon seit Jahrhunderten mündlich tradiert. Neben Prosa findet sich schon bald die Form der Ballade mit gegenüber der Bardendichtung wesentlich vereinfachten Versformen. Diese Balladen werden als Beginn einer volkstümlichen irischen Literatur angesehen. Hauptwerk des Finnzyklus ist die Erzählung »Acallam na senórach« (Das Gespräch der Alten; Ende des 12. Jahrhunderts). Zu diesem Zyklus gehören auch die Erzählungen um Diarmaid und Gráinne.Späte Epoche(1650-1850): Dieser Abschnitt der irischen Literatur ist durch die Unterdrückung der irischen Sprache durch die Engländer gekennzeichnet. Enteignung und Vertreibung des einheimischen Adels führten zum Aussterben des Bardenstandes. Die bis dahin genormte Literatursprache zerfiel in Dialekte. Die Engländer verboten den Druck irischsprachiger Bücher, und die irische Literatur zirkulierte nur in Manuskripten, was eine weite Verbreitung verhinderte. Der bedeutendste Lyriker dieser Epoche war Dáibhidh Ó Bruadair (* 1630, ✝ 1698), der zum Teil noch in der Tradition der Bardendichtung stand. Anstelle der professionellen Bardendichtung entfaltete sich im 17./18. Jahrhundert, besonders in der Provinz Munster (Südirland), eine von Bauern, Handwerkern, Lehrern u. a. getragene Volksdichtung. An die Stelle der strengen Metren der Bardendichtung traten volkstümliche Balladenverse (Amhráin). Das bedeutendste Werk der Munsterdichtung ist »Cúirt an mhéanoiche« (Mitternächtlicher Gerichtshof) von Brian Merriman (* 1740, ✝ 1808). Zu den Prosawerken des 17. Jahrhunderts gehören geschichtliche und altertumskundliche Sammlungen von hohem historischen Quellenwert: »Annála Rioghachta Éireann« (Annalen der Vier Meister) von Micheál Ó Cléirigh (* etwa 1590, ✝ 1643) und »Foras feasa ar Éirinn« (Geschichte Irlands) von Geoffrey Keating (* 1570, ✝ 1646). Unter dem Druck der Engländer (weiterhin Druckverbot für irische Bücher) und den Auswirkungen der »Großen Hungersnot« (1845-49) erstarb im Laufe des 19. Jahrhunderts jegliche literarische Aktivität.Moderne Epoche:Mit der Gründung der Gälischen Liga 1893 durch D. Hyde (* 1860, ✝ 1949) begann eine Erneuerung der irischen Sprache und Kultur. Dabei bot die Gaeltacht (Gebiet mit Irisch als Muttersprache) reiches Erzählgut, jedoch keine Literatur im engeren Sinn Erst P. O'Leary (* 1839, ✝ 1920; Cork-Irisch), P. Pearse und Pádraic Ó Conaire (* 1883, ✝ 1928; Connemara-Irisch) verbanden das Gaeltachterbe mit einer gewissen literarischen Bildung. Das 1899 von W. B. Yeats und Lady Im Allgemeinen Gregory gegründete »Irish Literary Theatre« führte 1901 das erste irische Stück, »Casadh an t-Súgáin« von Hyde, auf, das Lady Im Allgemeinen Gregory als »The twisting of the rope« ins Englische übersetzte. Obwohl das irische Theater (mit Zentren in Dublin und Galway sowie in der Gaeltacht von Donegal und Connemara) seither eine beachtliche Anzahl von Autoren und Bühnenstücken hervorgebracht hat, steht die Prosa mit der Kurzgeschichte als dominierender Erscheinungsform im Vordergrund. Mit Autobiographien traten Tomás Ó Griomhthain (* 1856, ✝ 1973) und M. O'Sullivan, mit Romanen die Brüder Séamus Ó Grianna (* 1891, ✝ 1969) und Seasamh Mac Grianna (* 1900) hervor. Eine neue (u. a. durch das besondere psychologische Interesse der Autoren geprägte) Phase begann nach 1939 mit dem Werk des Lyrikers Máirtin Ó Direáin (* 1910, ✝ 1988), der die Schönheit und Integrität der heimatlichen Araninseln beschrieb und zugleich die zeitgenössische irische Gesellschaft kritisierte, und mit M. Ó Cadhain, der durch Kurzgeschichten und satirischen Novellen bekannt wurde. Die Romane und Kurzgeschichten von L. O'Flaherty spielen vor historisch-sozialem Hintergrund. Von den Lyrikern der letzten Zeit sind besonders Séan Ó Riordáin (* 1917, ✝ 1977), der sich v. a. moralischen Problemen zuwandte, und die Dichterin Máire Mhac an t-Saoí (* 1922) hervorgetreten, deren Stil epigrammatische Kürze und Verbundenheit mit der Tradition kennzeichnet. Als Autor von Kurzgeschichten wurde besonders Breandán Ó h-Eithir (* 1930) bekannt.Zur Literatur Irlands in englischer Sprache englische Literatur.Die irischen Helden- u. Königssagen bis zum 17. Jh., hg. v. R. Thurneysen (1921, Nachdr. 1980);A view of the Irish language, hg. v. B. Ó Cuiv (Dublin 1969);D. Greene: The Irish language (Neuausg. Cork 1972);Early Irish lyrics, hg. v. G. Murphy (Dublin 31977);Foclóir Gaeilge - Béarla, hg. v. N. Ó Dónaill u. a. (ebd. 1977; irisch-engl. Wb.);E. Knott: Irish classical poetry (Neuausg. Cork 1978);Dictionary of the Irish language (Dublin 1983);Irish sagas, hg. v. M. Dillon (ebd. 41985);M. Ó Murchú: The Irish language (ebd. 1985);R. Baumgarten: Bibliography of Irish linguistics and literature 1942-71 (Dublin 1986);A. Bammesberger: A handbook of Irish, 3 Bde. (Heidelberg 1982-84);M. Rockel: Grundzüge einer Gesch. der irischen Sprache (Wien 1989).
Universal-Lexikon. 2012.